Wohnen in Österreich
Leitartikel Haus & Grund Nr. 4/Juli-August 2024:
„Wohnen ist nicht mehr leistbar”, „Aus der Traum vom Eigenheim” – „Eigentumserwerb nur noch für Bestverdiener möglich”: Schlagzeilen wie diese prägen die mediale Berichterstattung seit vielen Jahren. Schenkt man den Berichten, oder auch Interessenvertretern unterschiedlicher Couleur, Vertrauen, dann sind die Wohnkosten in den vergangenen zehn Jahren regelrecht explodiert. Doch stimmt dieses Urteil auch tatsächlich? Ein objektiver Faktencheck zeigt: Ganz so einfach ist es nicht. Auf den Wohnungsmarkt wirken zahlreiche makroökonomische Gesetzmäßigkeiten. Oder anders gesagt: Der Wohnungsmarkt ist eine hochkomplexe Materie – einfache Antworten in schwarz-weiß sind populistisch dankbar, faktisch aber nicht haltbar. Eine objektive Antwort auf die emotionale Frage – „Wie leistbar ist Wohnen noch?” – kann daher nur unter Betrachtung von drei maßgeblichen Hebeln gegeben werden: Wohnkosten in Relation zu Einkommen und Finanzierbarkeit.
Leistbarkeit bekam erst 2023 einen Dämpfer
Bernhard Binder-Hammer, Ökonom am Vienna Institute of Demography an der Akademie der Wissenschaften, hat sich in einem Artikel im aktuellen Pragmaticus der wissenschaftlichen Aufarbeitung dieser Frage gewidmet – und kommt dabei zu durchaus überraschenden Ergebnissen. Denn während die Wohnkosten in Österreich ab dem Jahre 2011 sehr rasch und stark gestiegen sind, hat die Leistbarkeit erst mit dem Zinsanstieg im Jahre 2023 einen deutlich negativen Einbruch erlitten. Wie das geht? Schauen wir uns die Entwicklung im Detail an.
Bruch mit ökonomischer Tradition
Binder-Hammerer schreibt, dass sich die Immobilienpreise bis 2010 parallel zum verfügbaren Einkommen der Menschen entwickelt haben. Sprich: Die Teuerung ging Hand in Hand mit der Lohnentwicklung. 2011 ist demnach ein Bruch dieser ökonomischen Tradition festzustellen. Die Immobilienpreise sind fortan stark gestiegen, die Löhne stagnierten. 2022 erreichte diese neue Entwicklung ihren vorläufigen Höhepunkt – mit durchaus bemerkenswerten Ergebnissen: Die Preise für Immobilien haben sich von 2010 bis 2022 mehr als verdoppelt, der Preisanstieg bei Häusern und Wohnungen ist um 60 Prozent höher als bei anderen Konsumgütern wie etwa Lebensmittel, Kleidung oder Autos. Warum dieser eklatante Preisanstieg? Die demografische Entwicklung zeigte keine Ausreißer – und auch der Wohnungsbestand wuchs stärker als die Einwohnerzahl. Was also war ausschlaggebend?
Geldpolitik als entscheidender Faktor
Der Ökonom ist sich sicher: Es bleibt nur ein wesentlicher Einflussfaktor – und für Binder-Hammerer zugleich der wichtigste: Die Geldpolitik. Und hier allen voran die Zinspolitik. Warum, zeigt ein einfaches Rechenbeispiel. Eine Kreditrate, die bei 1,3% Zinsen und einer Laufzeit von 30 Jahren eine Immobilie mit knapp 600.000.- Euro finanziert, finanziert bei 4% Zinsen nicht einmal mehr 450.000.- Euro. Bedeutet? Auch wenn die Wohnkosten in den besagten zehn Jahren deutlich gestiegen sind – die Kaufkraft blieb aufgrund der günstigen Geldpolitik hoch.
Die „Leistbarkeit” des Wohnens war nicht nur gegeben, sie war nahezu konstant, wie die Simulation des Ökonomen zeigt – bei rund zehn Netto-Jahreslöhnen. „Die höheren Preise konnten also mit den niedrigeren Zinsen gut finanziert werden”, schreibt er. Bedeutet: Die Wahrnehmung der Leistbarkeit des Wohnens in diesen zehn Jahren war stark emotional geprägt – faktisch und objektiv war eine geringere Leistbarkeit aber nicht vorhanden. Bis zur Trendwende 2022.
Leistbarkeit wird schlechter
2022 mussten in Österreich fast 14 Nettojahreslöhne bezahlt werden – 2023 sei der Kaufpreis dann relativ zum Einkommen wieder zurückgegangen. Zum einen aufgrund gesunkener Immobilienpreise – zum anderen aber auch aufgrund des relativ hohen Anstiegs der Löhne. Ein positiver Effekt auf die Leistbarkeit war laut Binder-Hammerer trotzdem nicht spürbar.
Grund hierfür einmal mehr: Die Geldpolitik. Die höheren Zinsen ließen die positiven Effekte von – in Relation – günstigen Immobilienpreisen und der positiven Lohnentwicklung in den Hintergrund rücken. Heißt wiederum: Ja, seit 2022 ist die Leistbarkeit tatsächlich, nicht nur gefühlt, deutlich schwieriger geworden.
Im Europa-Vergleich „moderat”
Wenig überraschend also, dass die geänderte Zinspolitik und in weiterer Folge auch die KIM-Verordnung massiven Einfluss auf die Leistbarkeit genommen haben. Und trotzdem: Im Europa-Vergleich ist die Wohnkostenbelastung laut Agenda Austria „moderat und konstant” – zumindest mit Blick auf die Zahlen bis 2022. Aktuellere liegen derzeit noch nicht vor.
Damals wurden im Schnitt 18,7 Prozent des verfügbaren Einkommens für Wohnen aufgewendet – mit deutlichen Unterschieden zwischen Stadt und Land. Der diesbezügliche Unterschied ist nur in Dänemark größer. Wobei wir in Österreich auch wissen: Land ist nicht gleich Land. Oder anders gesagt: Die Peripherie in Vorarlberg kann nicht mit den ländlichen Regionen beispielsweise in der Steiermark oder im Burgenland verglichen werden. Das preisliche Stadt-Land-Gefälle zwischen Bregenz und anderen Rheintal-Gemeinden ist empfindlich geringer, das Preisniveau mit urbanen Zentren wie Innsbruck und Wien vergleichbar.
Finanzierbarkeit für Junge schwierig
Das heißt zusammenfassend: Die Leistbarkeit des Wohnens hängt von unterschiedlichen Faktoren ab – ist aber maßgeblich von der Geldpolitik abhängig. Steigende Immobilienpreise bedeuten nicht zwangsläufig eine geringere Leistbarkeit, wie die Jahre 2011 bis 2021 deutlich unter Beweis gestellt haben. Für junge Menschen ist der Traum von der eigenen Wohnung bzw. dem eigenen Haus derzeit trotzdem ein schwer erfüllbarer. Die billigen Kredite sind, zumindest vorerst, weg – die maßgeblich dadurch verursachten gestiegenen Immobilienpreise sind (mit Schwankungen) geblieben.
Bauchgefühl alleine reicht nicht
Die gute Nachricht: Es gibt nicht nur diesen einen Hebel, der in der Finanzierbarkeit eine Erleichterung herbeiführen kann. Neben der Zinspolitik – Experten rechnen hier mit einer baldigen Verbesserung der Situation – und einer Reparatur der KIM-V, hat die Politik auch in Form der (Wohn)Nebenkosten einen wesentlichen Hebel in Sachen Leistbarkeit in der Hand. Binder-Hammerer geht auch davon aus, dass die demografische Entwicklung den Jungen in die Hände spielen wird. Der Geburtenrückgang bei gleichzeitigem Ableben der geburtenreichen Jahrgänge, werde das Angebot an Wohnraum in der Zukunft deutlich steigern.
Die Leistbarkeit von Wohnen – hier nur in Form des Eigentumserwerbs beleuchtet – hat viele Facetten und ist komplex. Das reine „Gefühl” reicht in der Bewertung der Situation jedenfalls nicht aus – erst recht nicht als Basis für politische Entscheidungen.