Verfassungswidrige Corona-Verordnung: Was heißt das für Vermieter von Geschäftslokalen?
Leitartikel Haus & Grund Nr. 6/November-Dezember 2020:
Der 16. März 2020 wird nicht leicht vergessen werden. Der erste Lockdown begann. Die Corona-Schutzmaßnahmenverordnung trat in Kraft, die Corona-Regeln galten. Bedenken, ob der Verfassungswidrigkeit der Verordnung wurden früh geäußert. Mittlerweile ist bestätigt: Die Einwände waren teilweise berechtigt. Eine Tatsache, die für Vermieter von Geschäftsräumlichkeiten von Relevanz sein könnte.
Und plötzlich lag das Leben brach. Was wenige Tage zuvor noch unvorstellbar war, wurde im März 2020 per Gesetz und Verordnung möglich gemacht. Die politischen Vertreter erklärten unter anderem, es gäbe nur noch vier Gründe – Berufsarbeit, Hilfe, dringende Besorgung, Spaziergänge (alleine oder mit Haushaltsangehörigen) – das Haus zu verlassen und den öffentlichen Raum zu betreten. Strafen wurden bei Nichteinhaltung verteilt. Bereits im Frühsommer wurde dieser Teil der Verordnung als gesetzeswidrig befunden. Kritik an Gesetz wie Verordnungen blieben aufrecht. Doch dazu später.
Corona-Hilfspaket
Wer damals oder auch wie in den vergangenen Wochen durch die Straßen spazierte, sah leere Geschäfte und abgesperrte Lokale. Einkaufen, konsumieren, Leben auf die gewohnte Art und Weise sind seit März kaum möglich. Wer konnte, stellte auf Online-Handel oder auf Zustellung um. Wo das nicht möglich war, hieß es Zwangspause. Die Umsätze brachen ein. Kurzarbeit und Kündigungen standen und stehen noch in vielen Bereichen auf dem Programm. Die Politik versprach zu helfen – „koste es, was es wolle“. Um dieses Versprechen einzulösen, schnürte die österreichische Bundesregierung das so genannte und viel umstrittene Corona-Hilfspaket. „Hilfen kommen nicht an“, „Hilfen gibt es für die Falschen“, „die, die es bräuchten, bekommen nichts oder fast nichts“ – das sind nur einige Kritikpunkte, die im Zusammenhang mit dem Hilfspaket immer wieder geäußert wurden. Für Mieter von Geschäftsräumlichkeiten gab und gibt es noch immer die Möglichkeit, im Rahmen des Hilfspaketes Fixkostenzuschüsse zu beantragen. Denn Mieten zählen zu den Fixkosten. Dieser Zuschuss konnte aber nur beantragt werden, wenn der Mietzins nicht reduziert werden konnte und die Nutzung der Räumlichkeiten in unmittelbarem Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit stand und aufgrund der Corona-Verordnung nicht mehr genutzt werden konnten. Mietzinsminderungen oder auch gar gänzliche Mietzinsbefreiungen sind auch abseits von Corona aufgrund von § 1104 und § 1105 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) möglich, sofern ein außerordentlicher Zufall vorliegt.
Mietzinsminderung und Befreiung
Nach dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, § 1104 ABGB, besteht ein Miet- oder Pachtzinsbefreiungsanspruch, wenn die in Bestand genommene Sache (das Geschäftslokal) wegen eines außerordentlichen Zufalls – Feuer, Krieg, oder Seuche, große Überschwemmungen, Wetterschläge, oder wegen gänzlichen Misswachses – gar nicht gebraucht oder benutzt werden kann. Mit der Coronakrise liegt ganz klar ein außerordentlicher Zufall vor. Hier ist sich auch die juristische Fachwelt einig. Rechtsanwalt Dr. Marco Fiel von Blum Hagen & Partner bestätigt: „Die Covid-19 Situation erfüllt im Zusammenhang mit dem Covid-19 Gesetz und den Beschränkungen aufgrund der Verordnungen des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz den Tatbestand des außergewöhnlichen Zufalls. Im Sinne des § 1104 ABGB.“ In welchem Ausmaß eine Mietzinsminderung oder ob sogar eine Mietzinsbefreiung möglich ist, hängt aber vom Einzelfall ab. Es ist die konkrete Gebrauchsbeeinträchtigung von Fall zu Fall zu ermitteln und daraus ergibt sich in weiterer Folge die Höhe der Minderung des Mietzinses. Gänzlich falsch ist die Annahme, dass Geschäftsraummieter im Bereich des Handels, der Dienstleistungsunternehmen und der Freizeit- und Sportbetriebe, deren Betriebsstäten unmittelbar von den Verordnungen – Stichwort Betretungsverbot – betroffen sind und somit geschlossen gehalten werden müssen, grundsätzlich einen Anspruch auf eine Mietzinsbefreiung hätten.
Der Mietentgang
Was blieb den Vermietern von Geschäftslokalen also übrig? Lagen die oben genannten Umstände vor und der Mieter forderte eine Minderung ein, so blieb kaum eine andere Wahl als diese Forderung zu prüfen und letztlich zu akzeptieren. Vielen Vermietern entging so zumindest ein Teil ihrer Miteinnahmen. Gesetzt des Falles, dass ein Vermieter durch die entgangenen Mieteinnahmen selbst in eine prekäre finanzielle Situation geraten wäre – und beispielsweise Kreditrückzahlungen nicht geleistet werden hätten können. Wäre die Möglichkeit einer Stundung des Kredites vorhanden gewesen, sofern die fälligen Zahlungen bedingt durch Einkommensausfälle im Zusammenhang mit COVID-19 nicht geleistet werden konnten. Eine Stundung ist nichts anderes als eine Verlängerung oder Verschiebung der Forderungen. Einfach gesagt, was aktuell nicht bezahlt werden kann, kann zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden. Der ausstehende Betrag muss aber beglichen werden. Wenn ein Vermieter von Geschäftsräumlichkeiten in den Monaten April bis Juni 2020 Corona-bedingt keine Mieteinnahmen hatte, konnte er zwar seine Kreditzahlungen aufschieben. Das finanzielle Loch, das durch die Mietentgänge entstanden ist, wird aber nicht geschlossen.
Interessante Klage
Kommen wir zurück zu der Verfassungswidrigkeit, die anfangs schon Thema war. Ein oberösterreichischer Gastwirt setze sich mit der Verordnung intensiv auseinander und kam zu dem Schluss, dass diese oder zumindest Abschnitte nicht richtig sein können. Besonders das so genannte Betretungsverbot sah er als nicht gesetzeskonform an. Er stellte folgenden Antrag: „Gestützt auf Art. 139 Abs. 1 Z 3 B-VG begehrt der Antragsteller mit Antrag vom 24. April 2020, die ,Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß § 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes 1 V 405/2020-14 01.10.2020 3 von 26 betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Covid19, BGBl II Nr. 96/2020 zur Gänze, in eventu die §§ 1, § 2 Abs 2, 3, 5 und 6, § 3 sowie § 4 der genannten Verordnung […]‘ als gesetzwidrig aufzuheben.“
Besonderer Fokus lag auf diesem Paragraphen der Covid-19 Maßnahmenverordnung „§ 1. Das Betreten des Kundenbereichs von Betriebsstätten des Handels und von Dienstleistungsunternehmen sowie von Freizeit- und Sportbetrieben zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen oder der Benützung von Freizeit- und Sportbetrieben ist untersagt.“ Es ging also um das viel umstrittene Betretungsverbot. Dem Antrag wurde stattgegeben.
Betretungsverbot verfassungswidrig
Warum ist der Fall des Gastwirtes und die damit einhergehende Aufhebung der verfassungswidrigen Corona-Verordnung durch den Verfassungsgerichtshof für Vermieter von Geschäftslokalen relevant? Fiel bringt es auf den Punkt „Wenn die Betretungsverbote für Gaststätten verfassungswidrig waren, dann ist das Insbesondere für das Betretungsverbot aller „Kundenbereiche“ ab dem 16. März 2020 anzunehmen.“
Die Betretungsverbote waren im Geschäftsbereich die Grundlage für mögliche und tatsächliche Mietminderungen oder Befreiungen. Wenn die Betretungsverbote gesetzeswidrig waren, fehlte also schon zum damaligen Zeitpunkt im März die rechtliche Grundlage dafür. Dies könnte für die Geschädigten (Vermieter und/oder Mieter) die Möglichkeit eröffnen, Schadenersatz vom Staat aufgrund von Amtshaftungsansprüchen geltend machen zu. Denn es ist laut Fiel anzunehmen, dass die Verordnung vom Gesundheitsminister grob schuldhaft verfassungswidrig umgesetzt wurde. Über weitere Entwicklungen in dieser Sache werden wir berichten.