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Sanieren für das Klima? Das Potenzial des Gebäudebestandes

Leitartikel Haus & Grund Nr. 03/Mai-Juni 2020:

195 Länder haben sich 2015 im Rahmen der UN-Klimakonferenz in Paris das Ziel gesetzt, bis ins Jahr 2050 die Treibhausgasemmissionen um bis zu 95 Prozent zum Jahr 2005 zu reduzieren. Die Sanierung des Gebäudebestandes ist dabei ein wichtiger Baustein. Die Studie „ Steuerliche Maßnahmen zur Dekarbonisierung des Wohnungssektors“ zeigt wie die Sanierungsrate gesteigert werden könnte.

Das gemeinsame Ziel aller 195 Länder ist es, die Erderwärmung deutlich unter 2 Grad Celcius – der Zielwert läge bei 1,5 Grad – zu halten. Nur so könne dem Klimawandel, der unsere Lebensgrundlage bedroht, wirkungsvoll begegnet werden, ist sich die Wissenschaft de facto einig. Jedes Land musste zur Erreichung der Pariser Klimaziele einen Aktionsplan vorlegen – Etappenziele inklusive. Österreichs Zwischenziel: Bis ins Jahr 2030 sollen die Treibhausgasemissionen um 36 Prozent zum Vergleichsjahr 2005 gesenkt werden. Im März verkündete Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, Leonore Gewessler, dass Österreich mit dem aktuellen Klima- und Energieplan die vorgegebenen Zielwerte in den drei Kenngrößen erneuerbarer Strom, erneuerbare Energie und Treibhausgasemissionen bis ins Jahr 2030 nicht erreichen werde können. Es bestünde dringender Handlungsbedarf.

Vorarlberg und der Klimanotstand
Vorarlberg hat sich am 4. Juli 2019 als Vorreiter in Sachen Klima- und Umweltschutz in Position gebracht. Als erstes österreichisches Bundesland wurde im Vorarlberger Landtag das „Climate Emergency“ – zu deutsch der Klimanotstand – beschlossen. Auch Vorarlberg hat mit der Energieautonomie 2050 klare Ziele definiert: Bis ins Jahr 2050 soll gleich viel Energie aus erneuerbaren Energieträgern erzeugt werden wie im Land verbraucht wird. Bis zur Zwischenetappe im Jahr 2030 sollen 50 Prozent des Gesamtendenergiebedarfs aus erneuerbaren Energieträgern stammen und die Treibhausgasemissionen sollen um 40 Prozent zum Vergleichsjahr 2005 gesenkt werden. Die Umsetzung wird über diese drei Kernbereiche angestrebt: Energie, Mobilität und Gebäude.

Gebäudesektor dekarbonisieren
Dekarbonisierung bedeutet die schrittweise Umstellung von Betriebsweisen, die hohe Kohlenstoffumsätze verursachen - wie zum Beispiel einer Ölheizung - hin zu Lösungen mit niederen Kohlenstoffumsätzen. Dem Gebäudebestand wird ein hohes Dekarbonisierungspotenzial zugeschrieben. Denn laut Statistik Austria sind rund drei Viertel der Gebäude in Österreich vor 1990 errichtet worden. Davon gelten wiederum 60 Prozent aus energetischer Sicht als dringend sanierungsbedürftig. In diesen Sanierungen liegt das oben genannte Dekarbonisierungs-Potenzial. Der Faktencheck des Klima- und Energiefonds nennt den Gebäudesektor im Allgemeinen als den Bereich, der im Vergleich zu Mobilität und Industrie, bis ins Jahr 2050 tatsächlich eine weitgehende Dekarbonisierung schaffen könnte. Mit einer nachhaltigen Sanierung kann zum einen der Gesamtenergieverbrauch gesenkt und gleichzeitig ein fossiles Heizsystem – Stichwort Ölheizung – durch ein Heizsystem basierend auf erneuerbaren Energieträgern ersetzt werden. Eine erhöhte Sanierungsquote ist somit ein wesentlicher Baustein bei der Erreichung der Klimaziele. Das klingt schön und gut. Die österreichweite Sanierungsrate ist aber laut Wolfgang Amman, Karin Fuhrmann und Walter Stingl, Institut für Immobilien Bauen und Wohnen GmbH, so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr. „2010 lag sie bei Hauptwohnsitzwohnungen bei 2,2 Prozent und unter Berücksichtigung der Wohnungen ohne Hauptwohnsitz bei etwa 2,1 Prozent. 2018 wurden demgegenüber nur noch 1,4 Prozent erreicht.“ Amann sieht mehrere Gründe für die niedere Rate. „Die Sanierungsrate war 2010 auf einem Rekordhoch. Der damals erwartete starke Anstieg der Energiekosten kam nicht. Viele Projekte haben sich nicht gut genug gerechnet. Hinderlich war dann auch der Boom im Neubau. Die Bauwirtschaft war dadurch sehr gut ausgelastet und bemühte sich nicht allzu sehr um Projekte in der Sanierung.“

Studie: „Steuerliche Maßnahmen zur Dekarbonisierung“
Amann, Fuhrmann und Stingl wurden im vergangenen Jahr von mehreren Verbänden der Baustoffindustrie mit der Erstellung einer Studie beauftragt, die Wege zur Steigerung der Sanierungsrate darstellen sollte. Gleich eingangs verweist die Studie darauf, dass mittelfristig zumindest eine Verdoppelung der aktuellen Sanierungsrate notwendig wäre, um die Klimaziele (#mission2030) der Bundesregierung zu erreichen. Als Lösungsansatz wurden zwei Modelle – eines für die Sanierung von Eigenheimen und Eigentumswohnungen, das zweite für die Sanierung privater Mietwohnhäuser – herausgearbeitet, die mittels steuerlicher Förderungen beziehungsweise Erleichterungen die Rate kräftig ankurbeln könnten.

Die zwei Modelle
Die Sanierung von Eigenheimen und Eigentumswohnungen könnte durch eine steuerliche Sanierungsförderung attraktiviert werden. Die Studie sähe dies folgendermaßen vor: Wird der Heizwärmebedarf oder die Gesamtenergieeffizienz durch eine umfassende Sanierung um zumindest 60 Prozent verbessert, sollten 65 Prozent der Kosten steuerlich geltend gemacht werden können. Für Teilsanierungen könnten 40 Prozent der Kosten abgesetzt werden, sofern die jeweiligen Bauteile den thermischen Standards von Neubauten entsprechen. Wer sich nach einer Teilsanierung doch noch für eine umfassende Sanierung entschließt, sollte laut Studie nachträglich die entsprechende zusätzliche Steuergutschrift erhalten. Die Autoren sehen dieses Modell als zielführend, da es auch für Niedrigverdiener oder Pensionisten mit niedriger Rente eine Option darstellt. Die anerkennbaren Kosten wären gedeckelt und im Bedarfsfall könnte eine Negativsteuer in Anspruch genommen werden.

Das Modell, um die Sanierungszahlen privater Mietwohnhäuser zu steigern, ist dem obengenannten ähnlich, jedoch angepasst auf die Bedürfnisse der Eigentümer von privaten Mietwohnhäusern. Zum einen sähe dieses Modell einen stark verkürzten Absetzungszeitraum von fünf Jahren für die Sanierungskosten vor. Zum anderen wäre eine Prämie, 15 Prozent der Investitionskosten, alternativ vorgesehen. Für denkmalgeschützte Gebäude würde zusätzlich die Liebhabereiberechnung entschärft. Die Sofortabsetzung, die aktuell bereits bei genutzten Mietflächen möglich ist, fände ihre Ausweitung auf Mischobjekte. Und: Die steuerfreie Ansparung der Mietzinsreserve sollte ermöglicht werden.

Mehrfach profitabel
Laut Berechnungen der Studienautoren wären, sofern die genannten Förderungsmodelle inklusive ergänzender Maßnahmen eine konsequente Umsetzung fänden, in zehn Jahren CO2-Einsparungen von rund 2 Millionen Tonnen möglich. Eine erhöhte Sanierungsrate könnte aber nicht nur positive Auswirkungen auf die Treibhausgasemissionen haben, sondern ebenso einen zusätzlichen Aufschwung für die Bauwirtschaft bedeuten. Aktuell werden österreichweit jährlich 19.000 Sanierungen durchgeführt. Dann könnte die Zahl der Sanierungen pro anno laut Berechnungen bis zu 31.000 anwachsen. Nicht nur Umwelt und Wirtschaft würden hier profitieren, sondern auch der Fiskus. Denn die beiden Modelle könnten laut Studie durch ihre Umsetzung zusätzliche Steuereinnahmen beziehungsweise Einsparungen von insgesamt fast 800 Millionen Euro bewirken.

Zusätzliche Maßnahmen
Dass eine steuerliche Anpassung zwar ein Hilfsmittel, aber nicht das Allheilmittel wäre, betont Amann: „Es braucht einen Maßnahmenmix, und zwar für jedes Bestandssegment einen unterschiedlichen Mix. Wohnrechtliche Maßnahmen sind vor allem bei Eigentumswohnungen und Mietwohnungen unverzichtbar. Bei Eigentumswohnungen geht es um bessere Regelungen zu den Rücklagen, bei Mietwohnungen um Duldungspflichten und Maßnahmen zur Finanzierung.“

Schnelle Einführung
Ein Ziel der Studie war es, Modelle darzustellen, die eine rasche Umsetzung finden könnten. Hierzu meint Amann: „Beide Modelle bauen auf Mechanismen auf, die in unserem Steuersystem seit langem verankert sind. Die Finanzämter wissen, wie damit umzugehen ist. Ich denke, eine Umsetzung in Jahresfrist wäre machbar.“ Gefragt, wie wahrscheinlich er die Umsetzung einschätzt, meint Amann: „Der COVID-Lockdown hat unsere Wirtschaft schwer getroffen. Gleichzeitig bleibt die Abwendung einer Klimakatastrophe ein Top-Thema auf der Agenda. Mit entschlossenem Handeln in Richtung Wohnhaussanierung könnten beide Themen sehr effektiv angegangen werden. Es ist ein ‚Window of Opportunity‘.“