Agenda für ein neues Wohnrecht – Ergebnisse des Wohnrechtskonvents
Leitartikel Haus & Grund Nr. 04/Juli-August 2020:
Wohnen ist ein Thema, das alle betrifft. Ein viel diskutiertes Thema. Denn Wohnen wird in Ballungsräumen immer teuer und für eine immer größer werdende Anzahl an Menschen nicht mehr leistbar. Der Wohnrechtskonvent hat sich in drei Teilen von Mai 2019 bis Februar 2020 mit den vermeintlichen Problemfeldern auseinandergesetzt und eine „Agenda für ein neues Wohnrecht“ präsentiert.
Das Vorarlberger Rheintal ist ein Ballungsraum. Wohnraum, egal ob in gekaufter oder gemieteter Form, wird teurer. Die Kauf- und Mietpreise liegen laut Immobilienpreisspiegel in Vorarlberg über dem Österreich-Schnitt und entwickleln sich weiterhin nach oben.
Das Projekt „Wohnrechtskonvent 2019/20“ wurde mit dem Ziel gestartet, dass durch ein neues Wohnrecht die Rahmenbedingungen geschaffen werden könnten, leistbaren Wohnraum für alle Bevölkerungsgruppen zugänglich zu machen. Träger des Projekts war das Forum Wohn-Bau-Politik. Eine überparteiliche, interdisziplinäre Initiative mit Sitz in Wien, die sich für eine umfassende Erneuerung und Weiterentwicklung der österreichischen Wohn(bau)politik einsetzt.
Ein neues Wohnrecht?
Braucht Österreich ein neues Wohnrecht? Experten aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft sind sich laut Ergebnissen des Wohnrechtskonvent einig und meinen: Ja. Die aktuelle Rechtssituation stelle für die Zielerreichung – leistbares Wohnen für alle – in mehreren Bereichen ein Hindernis dar. Als Beispiel wird hier in der Agenda unter anderem die Anzahl der Gesetzesmaterien genannt. Wohnen ist mittels fünf verschiedener Gesetzesbereiche geregelt: Mietrecht (MRG), Wohnungseigentumsgesetz (WEG), Wohnungsgemeinnützigskeitsgesetz (WGG), Wohnbauförderungsgesetze der Länder und die Raumordnungsgesetze. Die Autoren der „Agenda für ein neues Wohnrecht“, Barbara Ruhsmann (Die Grünen), Jörg Wippel (Geschäftsführender Gesellschafter wvg), Walter Osztovics und Andreas Kovar (Kovar & Partners) verorten darin ein großes Problem. Die gesetzlichen Teilbereiche seien nicht aufeinander abgestimmt. Außerdem hätten Teilreformen die Gesetze kompliziert und unübersichtlich gemacht.
Barbara Ruhsmann, Obfrau Forum Wohn-Bau-Politik, hebt außerdem den Eigentumsbegriff als problematisch hervor. „Dreh- und Angelpunkt aller ungelösten wohnrechtlichen Probleme ist unser zwiespältiger und gleichzeitig eindimensionaler Begriff von Eigentum. Während es in der Nachkriegszeit noch parteipolitischer Konsens war, dass mit Eigentum soziale Verpflichtungen einhergehen, waren die letzten Jahrzehnte von einer Scheu der Politik geprägt, in das Wohnungsmarktgeschehen einzugreifen und das öffentliche (soziale) Interesse an fairen Mieter-Vermieter-Beziehungen auch legistisch zu behaupten.“ Am Betongold hätten sich viele erfreut, vermerkt Ruhsmann – und meint weiters: Tatsächliche Reformen seien deshalb von politischer Seite nie angegangen worden. Hier wird auch das MRG als dringender „Patient“ genannt. Denn dieses sei weder auf die Bedürfnisse der Eigentümer noch der Mieter angepasst.
Konvent in drei Teilen
Im ersten Schritt hatten geladene Experten im Mai 2019 die Möglichkeit, via Online-Konsultation Vorschläge, Kritik und Anregungen einzubringen. Als einer dieser Experten wurde auch VEV-Präsident RA Dr. Markus Hagen eingeladen, der diese Chance nutzte, die aus Vorarlberger Sicht wichtigen Anregungen einzubringen. Die Ergebnisse wurden zusammengefasst und mit den wohnpolitischen Sprechern aller Parteien diskutiert. Im nächsten Schritt wurde die Öffentlichkeit eingeladen. Von Juni bis Oktober 2019 konnten Interessierte an der Konvents-Befragung teilnehmen. Dort wurden bereits Zwischenergebnisse aus der Experten-Konsultation zur Diskussion gestellt. Barbara Ruhsmann, Obfrau Forum Wohn-Bau-Politik erklärt, dass sie über den Grad der Beunruhigung bei den Teilnehmenden doch überrascht war. „Da ist eine tiefe Sorge um die Zukunft – sowohl um die Bezahlbarkeit von Wohnraum für alle Bevölkerungsschichten als auch um den Umgang mit endlichen Ressourcen wie Boden – vorhanden.“ Die Ergebnisse der zwei Konsultations-Runden wurden im dritten Schritt ausgewertet, analysiert und vertiefend betrachtet. Der Reformbedarf und die dazugehörigen Lösungsansätze sind in der „Agenda für ein neues Wohnrecht“ in Form von Fragen an die politischen Entscheidungsträger nachzulesen.
Drei Kernbereiche
Im Rahmen des Wohnrechtskonvents kristallisierten sich drei Kernbereiche heraus, die für wohnpolitische Entscheidungen höchste Relevanz besitzen und wie Zahnräder ineinandergreifen sollten.
• Boden, Raumordnung und Siedlungspolitik
• Bestandspolitik, Mietrecht
• Klimapolitik: Dekarbonisierung des Wohnungssektor
Wohnpolitik solle also nicht nur das Wohnen leistbar machen, sondern solle es sich zum Auftrag machen, dass der CO2-Fußabdruck des Wohnsektors gegen Null verringert werde. Zudem müssten Siedlungsstrukturen so geplant werden, dass der Flächenverbrauch geringgehalten würde, die Landschaft geschont und auch unnötige Infrastrukturkosten vermieden würden. Hierzu meint Ruhsmann außerdem „Alle drei Bereiche sind gleich dringend zu behandeln. Es braucht Zeit, Ausdauer und Hartnäckigkeit, hier zu neuen Lösungen zu kommen. Es muss alles jetzt gemeinsam begonnen werden.“
Schwerpunkt Mietrecht
Es sind breite und komplexe Themenfelder, die in der Agenda behandelt werden. Einer der drei Kernbereiche setzt sich intensiv mit dem Mieten auseinander. Hier wird unter anderem ein einfaches und einheitliches Mietrecht als Lösungsansatz präsentiert. Die Fragen, die in diesem Zusammenhang an die Politik gestellt werden und als Lösungswege dienen sollen, sind: „Sollen die bestehenden Stichtage von denen derzeit abhängt, welche Mietrechtsbestimmungen zum Tragen kommen abgeschafft werden? Soll weiterhin zwischen Mietwohnungen mit Preisregelung und solchen, bei denen der Mietzins frei vereinbart werden kann, unterschieden werden? Welche anderen Kriterien als das Errichtungsdatum des Gebäudes sollen ausschlaggebend für die Frage sein, ob eine Mietwohnung preisgeregelt ist oder nicht?“ Zudem werden auch Fragestellungen rund um Mietpreisbildung, Sanierung, Investitionen, Befristungen, Bestandsmieter und Neumieter sowie den Leerstand beleuchtet.
Die Antworten der Politik
Die Agenda für ein neues Wohnrecht gibt die Fragen, die es zu beantworten gilt, um leistbares und zukunftstaugliches Wohnen garantieren zu können, in den drei oben genannten Kernbereichen, vor. Die Antworten darauf muss jedoch die Politik liefern.
Barbara Ruhsmann meint dazu. „Internationale Erfahrungen zeigen, dass ein solcher Konvent nur dann wirklich Sinn macht, wenn es ein Commitment der Regierenden gibt, die Ergebnisse ernst zu nehmen und Empfehlungen umzusetzen. Wir haben zwar zahlreiche positive Rückmeldungen von Bundes- und Landespolitikerinnen erhalten, die politischen Ressourcen, sich jetzt in dieser Corona-Krisenzeit über ein großes Beteiligungsverfahren zu wagen, wie es das in Österreich auf Bundesebene noch nie gegeben hat, scheinen aber aktuell leider sehr begrenzt.“
Der Druck wächst
Die Politik ist zwar nicht untätig – aber oft sind es unzufriedenstellende Alibihandlungen, die getätigt werden. Als Beispie: Die Novelle des Raumordnungsgesetzes in Vorarlberg, um das Ansteigen der Grundstückspreise einzubremsen. Aktuell sind laut Ruhsmann außerdem einzelne Gesetzesentwürfe auf Bundesebene in Arbeit, die Veränderungen zum Beispiel im Wohnungseigentumsgesetz mit sich bringen könnten. Ruhsmann meint hier aber, dass diese Vorhaben nicht ausreichen werden, da die Wirtschaftskrise und somit die Einkommenskrise der Menschen anhalten werde. „Der Druck auf die Politik, wirksame Maßnahmen für leistbares Wohnen zu setzen, wird anwachsen. Spätestens 2021 müssen die Weichen für eine gesamtheitliche Wohnrechtsreform mit dem Fokus auf Leistbarkeit gestellt werden.“